Kritik zum Artikel „Die Mitte fehlt“

Liebe Nachbarn,

ich wurde dankenswerterweise auf den Artikel „Die Mitte fehlt“ in der Süddeutschen aufmerksam gemacht und muß nach Lektüre selbigen Artikels meine virtuelle Feder zücken. Daß in der SZ ein so unpräzise formulierter Text steht und Dinge so zusammengeworfen werden, hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich gehe mit meiner Kritik Absatz für Absatz durch. Benutzen Sie rege unsere Kommentarfunktion…

Absatz 1

Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) zählt auf, wie viel sie unternehme, damit das Wohnen bezahlbar bleibt: Der Bundeszuschuss zum sozialen Wohnungsbau soll im kommenden Jahr noch einmal von einer Milliarde auf 1,5 Milliarden Euro steigen.

Zwei Dinge in einen Topf. Zum einen geförderter Sozialwohnungsbau, der nur für bestimmte Einkommensgruppen in Frage kommt. Und für die wird das -qua Definition!- stets „bezahlbar“ bleiben. Zum anderen der freie Markt, auf dem vermietet und verkauft wird, und die Preise durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden.

Außerdem wieder weder qualifiziert noch quantifiziert, was „bezahlbar“ bedeutet.

Bauland hat der Bund bereitgestellt […]

Verzeihung. Neubauflächen weist die Kommune aus. Unter was für teilweise absurden Bedingungen dürfen wir in München derzeit hautnah miterleben (e.g. „Dantebad“).

Absatz 3

In den kommenden Monaten treten viele anerkannte Flüchtlinge auf den Wohnungsmarkt […]

Auch hier wird Sozialwohnungsbau mit freiem Wohnungsmarkt vermischt. Die Flüchtlinge dürften ihrer mangelnden Mittel wegen überwiegend für Sozialwohnungsbau interessant sein und konkurrieren daher nicht mit „unsereins“.

zugleich bleiben mehr Familien und Senioren in der Stadt, statt auf das Land zu ziehen.

Absolut unbelegte Aussage. Seit wann ziehen Familien und Senioren auf’s Land? Alleine der erforderlichen Infrastruktur (Kinderversorgung, Ärzte, Schulen, etc.) wegen macht das keinen Sinn.

Doch im vergangenen Jahr wurden nur etwa 270 000 Wohnungen fertig. Die Folge: Die Mieten in den Ballungsgebieten steigen.

Halte ich auch für Quatsch. Jeder Vermieter darf für seine Mietobjekte verlangen, was er will. Unserem Wirtschaftssystem ist geschuldet, daß auch „ein Großteil der Vermieter“ herauspreßt, was geht. Mit der Zahl der Wohnungen hat das weniger zu tun, denn wie die Grünen den Vergleich zur Straße schon treffend gezogen haben: Je besser ich die Straßen ausbaue, desto mehr Autos fahren auch drauf. Warum sollte das bei Wohnungen in der Stadt anders sein: mehr Jobs, mehr Leben, höhere Lebensqualität, da regelt eben der „Wohnpreis“ den Zuzug.

Absatz 4

Hinzu kommt: Trotz historisch niedriger Zinsen baut ein Großteil des Marktes am Bedarf vorbei.

Halte ich für einen Irrtum. Gerade wegen niedriger Zinsen baue ich doch jetzt möglichst teuer in ein Ballungsgebiet: einer wird’s schon kaufen, und wenn nicht, selbst Leerstand kostet mich als Bauherrn wegen „niedriger Zinsen“ wenig. Siehe Bellinzonastraße 9-11. Ob die schon alle weg sind? In einem großen Immobilienportal stehen noch drei zum Kauf angeboten.

In den Städten kommen dagegen auf dem freien Markt fast nur die Entwickler teurer Eigentumswohnungen zum Zuge. „Während vor allem günstige Wohnungen benötigt werden, wird vor allem im mittleren bis hohen Preissegment gebaut“, sagt der Chefvolkswirt der DZ Bank, Stefan Bielmeier.

Ja, welcher Anreiz besteht denn, hier in der Stadt für das „untere“ Preissegment zu bauen? Ich wäre als Bauherr doch blöde, Geld zu verschenken. Und ich habe als privater Bauherr keinen sozialen Auftrag.

Absatz 7

Die Steuervorteile kosten mindestens 2,1 Milliarden Euro.

Falsch. Das Geld, die Steuer, ist ja noch gar nicht im Geldbeutel des Staates. Daher „kostet“ das nichts, es wären höchstens nur Mindereinnahmen, wenn denn wirklich alle Bauvorhaben wie vom Bund erwartet umgesetzt würden.

Absatz 8

[…] sowie Auflagen für die Mieten.

Das ist doch genau der Punkt. Solange hier einem Investor keine Obergrenze vorgeschrieben wird, wird sich doch am Prädikat „bezahlbar“ und der Auslegung durch den jeweiligen Investor nichts ändern. Die festgeschriebene Quadratmetermiete wäre doch das einzige Kriterium, den Kräften am freien Markt Paroli zu bieten. Der Investor kann sich seine Mieter ja trotzdem nach anderen Kriterien aussuchen.

Eine Förderung pro Quadratmeter ist doch unabhängig von ihrer Höhe (>0) immer interessant.

Außerdem eröffnet ein solcher staatlicher Kniefall doch ganze Scheunentore: „Lieber Staat, ich würde ja gerne Wohnungen bauen, aber mit 1H Abstand rentiert sich das leider leider leider nicht. Da müssen wir uns etwas einfallen lassen.“

Sollte es sich aber „wegen der Mietpreisgrenze“ für den Investor nicht rentieren, sprich keine Rendite von >200% abwerfen, kann er ja immer noch dem nächsten Unternehmer Platz machen, der vielleicht auch mit weniger zufrieden ist.  Ich halte es für völlig falsch, den Gewinnwunsch des einen Investors auf Biegen und Brechen mit staatlicher Hilfe (nicht nur finanziell, auch z.B. durch Lockern von Bauvorschriften oder Ignorieren infrastruktureller Probleme) zu realisieren.

Warum kann es nicht auch ein Investorenwettbewerb geben? Auf Areal X sollen Y Wohnungen hin bei einer maximalen Miete von 10 EUR/qm für die nächsten 10 Jahre. Liebe Investoren / Baufirmen, wer kriegt das bei allen geltenden Vorschriften hin? Meldet sich Europaweit niemand in 6 Monaten, machen wir 12 EUR/qm. Hat das einmal jemand probiert?

Absatz 9

[…] und nicht nach dem höchsten Preis, sondern nach dem besten Konzept vergeben.

Könnte jemand endlich einmal „bestes Konzept“ qualifizieren und quantifizieren? So eine absolute Null-Aussage. Zugegeben, nicht die Aussage der beiden Autoren des SZ-Artikels.

Absatz 10

der Staat müsse einfach nur warten, bis der Markt von selbst genügend Wohnraum für alle schafft: „Diese Frage hat der Markt in den vergangenen Jahren nicht geregelt.“

Auch das halte ich für eine pauschale Aussage. Wie schaut’s denn z.B. in Berlin aus? Und weiter: Möchten wir in München ein Berlin-artiges Stadt-Vorstadt-Konglomerat bekommen? Ist das überhaupt noch aufzuhalten?

Und einmal weiter ausgeholt: Grundlegend haben wir nun einmal die Marktwirtschaft als Wirtschaftssystem, mit all den Vor- und Nachteilen, die sie uns bringt. Gerne würde ich nun über den Kapitalismus schimpfen und seine Ungerechtigkeit gegen große Teile der Gesellschaft ausführen, das würden Ihre Geduld aber überstrapazieren. Stattdessen darf ich anregen, einmal darüber nachzudenken, ob denn sich der Wohnungsmarkt (hier in München) nicht schon längst zum Oligolpolmarkt großer Wohnungsbaugesellschaften entwickelt hat und was das für uns als Stadt bedeutet. Ein passender Begriff wäre hier „Oligopolfrieden“.

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